2018:
Zum Beitrag "Willkür in der medizinisch-psychologischen Untersuchung" in der Sendung Frontal21 im ZDF am
09.10.18 habe ich folgenden Kommentar per Email an die Redaktion geschrieben:
Sehr geehrte Frontal21-Redaktion,
sehr geehrter Herr S. (Redakteur),
hiermit möchte ich auf eklatante sachliche Fehler in Ihrem am 09.10.18 gezeigten Bericht zur
angeblichen Willkür in der medizinisch-psychologischen Untersuchung hinweisen.
Bisher habe ich Ihre Reportagen immer sehr gern gesehen und gedacht, diese seien sorgfältig recherchiert.
Dass das in dem genannten Bericht nicht der Fall war, kann ich als in diesen Bereich erfahrene Fachfrau sehr gut beurteilen, demzufolge bin ich sehr erschrocken über so viel „fake news“! Ein Blick
auf die twitter-Kommentare zur der betreffenden Sendung zeigt mir die fatale Wirkung und veranlasst mich nun, mich nicht nur zu ärgern, sondern Ihnen zu schreiben.
Ich nehme kurz zu den einzelnen Punkten in Ihrem Bericht Stellung:
- Die MPU ist kein „Test", in dem es nur um die Einsicht des Untersuchten geht, sondern es ist eine
hochkomplexe Untersuchung von speziell geschulten Verkehrspsychologen und Verkehrsmedizinern, die aufgrund ihrer Spezialisierung die Eignung oder Nichteignung eines Menschen zum Führen von
Kraftfahrzeugen feststellen sollen. Kein Mensch wird, wie Sie sagen „abgestempelt“, sondern der Kunde hat in einem Rechtsakt seine Eignung verloren und stellt sich nun freiwillig (!) der Untersuchung
in Hinblick auf seine im positiven Fall wiederhergestellte Eignung. Die Basisannahme der Gutachter lautet somit: der Klient ist wieder geeignet und es findet eine sogenannte „Entlastungsdiagnostik“
statt, keine Verurteilung oder „Abstemplung“. Somit muss sich auch kein Klient „wehren“, er gilt ja bereits als ungeeignet aufgrund seiner Verkehrsauffälligkeit.
- „die Hälfte fällt durch“: das ist falsch, aktuelle Zahlen von 2017 zeigen: 58,7 % bestehen die MPU, 36,2 %
gelten als ungeeignet ("fallen durch“), 5,1% erweisen sich als nachschulungsfähig (d.h ein Kurs zum Ausräumen der Restbedenken und dann Neuerteilung der Fahrerlaubnis).
- die leistungspsychologische Untersuchung am Computer gehört, wie der Name schon zeigt, zum psychologischen
Teil der MPU und nicht zum medizinischen, wie im Bericht gesagt wird.
- die von Ihnen gezeigte Frau fiel zum 2. und 3. Mal durch die MPU, weil sie die Empfehlungen im Gutachten
nicht zum Anlass genommen hat, Ihren Alkoholkonsum zu hinterfragen und zu verändern. Sie habe ein „eigenes Gutachten“ erstellen lassen: was genau soll das für ein Gutachten sein? Das MPU-Gutachten
ist ebenfalls ein "eigenes Gutachten" der Klientin. Hat ihr Hausarzt oder ein anderer Psychologe eine fachliche Empfehlung oder eine Bescheinigung ausgestellt? Diese kann aufgrund vieler Kriterien
keine Berücksichtigung finden bei der Begutachtung, ausschlaggebend ist die verkehrspsychologische Gutachterin.
- Unter anderem hat die Argumentation der gezeigten Frau („einmaliger Fehltritt“, „Ausrutscher“) zum
negativen Ergebnis geführt, da sie ihren Alkoholkonsum offenbar nicht selbstkritisch aufgearbeitet hat. Bei Kenntnis des notwendigen Hintergrundwissens (zur Alkoholgewöhnung, Dunkelziffer von
unentdeckten Alkoholfahrten etc.) wird keine willkürliche Entscheidung gefällt, sondern eine fachlich korrekte Einordnung der Problematik. Dass bei einer Alkoholtoleranz von mehr als 1,6 Promille
eine Alkoholproblematik vorliegt, ist fachlich eindeutig. Wie diese Alkoholproblematik heißt, ob Alkoholgefährdung, fortgeschrittene Alkoholproblematik oder Alkoholabhängigkeit, sollen die Gutachter
in der MPU gemeinsam herausfinden. Danach bemessen sich dann die Schritte zur Bewältigung der Problematik, die für ein positives Ergebnis notwendig sind. Bei dieser Frau wird es um eine
Alkoholgefährdung gegangen sein, da ein fortgeschrittener Alkoholmissbrauch und eine Abhängigkeit ausgeschlossen werden konnten. Die Kriterien, die dafür erfüllt sein müssen, hat sie offensichtlich
nicht erfüllt (Einsicht in die Problematik deutlich nicht, wohl demzufolge auch keine tragfähige und stabile Veränderung ihres Trinkverhaltens, was dazu u. a. nötig wäre), daher das negative
Ergebnis.
- Diese klar, eindeutig und transparent definierten Kriterien gibt es seit Jahrzehnten und sie sind
bundesweit einheitlich!!!
Sie heißen "Begutachtungs-Leitlinien für Kraftfahreignung"
(hier ist ein link eingefügt)
und gelten für jede Begutachtung und sind rechtsverbindlich! Zusätzlich gibt es die
Beurteilungskriterien („Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung – Beurteilungskriterien“ in überarbeiteter 3. Auflage
erschienen. Herausgeber sind die Deutschen Gesellschaften für Verkehrspsychologie und Verkehrsmedizin (DGVP und DGVM),
die Grundlage jeder Begutachtung sind.
- Verkehrspsychologen und Verkehrsmediziner unterstehen wie die akkreditierten
Untersuchungsinstitute der regelmäßigen Kontrolle der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt, siehe beigefügter link).
Für willkürliche Entscheidungen gibt es weder Möglichkeiten noch Motivation: die Gutachter sind zu über 90%
als freie Mitarbeiter tätig und wechseln auch die Unternehmen. Psychologe und Arzt sind helfende Berufe. Die Aufgabe Menschen etwas Gewünschtes oft zu versagen, ist durchaus schwierig. Oft wird den
Gutachtern eine sadistische Freude daran unterstellt, das ist traurig und falsch und entsteht aus Unwissenheit (ein vernünftiger Fernsehbericht könnte mit solchen Fehleinschätzungen
aufräumen).
Es gibt insgesamt einen großen Bedarf an medizinischen und psychologischen Gutachtern, die Tätigkeit ist
extrem anspruchsvoll, der Weg dahin steinig, das Honorar lachhaft niedrig, die Überprüfung streng. Auch ohne Zweit- und Drittbegutachtung wie bei der gezeigten Frau haben die Institute viel zu tun.
- Ziel einer MPU ist die Erhöhung der Verkehrssicherheit und nicht Schikane Einzelner. Ihr Bericht geht
leider genau in die Richtung, das ist nahezu verantwortungslos!
Sie haben in dem Bericht nur die eh vorhandenen Ängste und Vorurteile der Zuschauer bedient, der
Erkenntnisgewinn ist gleich Null!
Zahlen zu Unfällen, Personenschäden, Unfalltoten durch Alkohol, Drogen und Punkteauffällige recherchieren
Sie bitte hier: Sie finden unter dem link der BASt und auch beim Bundesverband Niedergelassener Verkehrspsychologen
alle seriösen Informationen zu dem Thema!
- Ein weiterer Punkt: Gesprächsmitschnitte gibt es bei einigen Begutachtungsinstituten, andere lassen die
Klienten nach dem psychologischen Untersuchungsgespräch die Gesprächs-Mitschrift gegenlesen und notfalls korrigieren. Ich kenne das aus meiner Gutachtertätigkeit seit dem Jahr 2006 gar nicht anders.
Die Kunden sollten das wissen und können ihr Institut ja nach diesen Punkten selber auswählen. Viele Gutachter wünschen sich auch Gesprächsmitschnitte, sie geben auch ihm Argumentations-Sicherheit.
Da das logistisch aufwendiger ist, würde die MPU sicher teurer werden dadurch.
-„MPU-Tourismus“: seit dem 1.8.2018 wird es den sicher bald geben, denn die Begutachtungsinstitute dürfen
neuerdings eine eigene Preisgestaltung vornehmen.
Berichte wie Ihrer schüren bei den Klienten allerdings die Vorstellung, in einem anderem Institut könnte man
ein anderes Ergebnis erzielen. Dem ist aber nicht so: durch die bundesweit einheitliche Anwendung der Begutachtungs-Leitlinien und Beurteilungskriterien ist das kaum möglich, auch wenn es im
Einzelfall manchmal Interpretationsspielräume gibt.
- Wenn Sie mal in Erfahrung bringen, wie andere Länder mit dem Thema Alkohol/Drogen/Verstöße im
Straßenverkehr umgehen, könnten Sie einen ganz anders gearteten Bericht senden! Extrem teure Strafen, Haftstrafen, Führerscheinentzug für immer etc., auch schon bei Blutalkoholkonzentrationen weit
unter 1,6 Promille. Dagegen ist die deutsche MPU (ich vermeide übrigens bewusst den Namen I…. test, das ist eine Diskriminierung der Klienten und aller in dem Bereich Tätigen!!) ) eine durchaus
akzeptable und wissenschaftlich gesicherte Methode. Ohne MPU werden ca. 40 % der erstmalig Auffälligen ein 2. Mal mit Alkohol oder Drogen auffällig, nach einer positiven MPU aber nur noch 5-6
%.
Die Unfallgefahr ist mit 1,1 Promille bereits um das 16-fache erhöht, jede Alkohol- oder Drogenfahrt
gefährdet Menschenleben. Nur darum geht es in der MPU, um die Einschätzung, wie wahrscheinlich es ist, dass der Untersuchte erneut auffällt und somit andere und sich gefährdet.
Damit ist eine MPU in der Tat eher eine „helfende Maßnahme“, denn sie hilft, den Straßenverkehr etwas
sicherer zu machen und gibt außerdem dem Einzelnen die Chance, sich mit einer gewissen Problematik auseinanderzusetzen und Wege einzuleiten, um diese zu beheben. Darum geht es bei der Untersuchung
(es ist wahrlich kein „Test“).
Es ist beschwerlich und es dauert lange, bis Klienten diese ganzen Zusammenhänge verstehen. In dem Bereich
bin ich tätig (sehen Sie sich gerne um auf www.mpuberatung-schubert.de), fast alle Klienten bestehen nach einer qualifizierten
verkehrspsychologischen Intensiv-Maßnahme die MPU.
Ein qualitativ guter und inhaltlich korrekter Bericht in Ihrer Sendung würde den Leuten definitiv helfen,
die Resentiments gegenüber der MPU abzubauen und sich vorher in eine qualifizierte Maßnahme zu begeben um dann auch die MPU zu bestehen. Weit mehr als 90 % bestehen auch beim 1. Mal die MPU, wenn
eine fachlich passende Aufarbeitung stattgefunden hat, ohne eine solche Maßnahme ist die Chance allerdings gering, weil Leute wie die gezeigte Frau alleine nicht aus ihren Denkmustern finden, die Sie
mit Ihrem Bericht gestern leider noch zementiert haben.
Ich hoffe Ihnen trotz meiner Verärgerung einige konstruktive Hinweise gegeben zu haben und verbleibe mit
freundlichen Grüßen
D. Schubert
Für weitere Fragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung!
Dipl. Psych. Dörte Schubert
VERKEHRSPSYCHOLOGISCHER DIENST
Knooper Weg 128
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